Hier war es einige Zeit still. Es lief so vieles. Und ich brauchte Zeit. Für das Viele. Zu Verarbeiten. Wohl bin ich noch dran. Da geschahen zwei tiefgreifende Erlebnisse. Ich schreibe sie nieder. Weil schreiben heilt. Ich beginne mit dem Schönen und im zweiten Teil werde ich erst auf eine Triggerwarnung hinweisen, damit du entscheiden kannst, ob du den Teil lesen möchtest. Ich beginne mit dem Schönen.
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Als ich direkt nach dem Event auf mein Handy blickte und meine Schwester mir schrieb, dass sie alle zehn Minuten Kontraktionen hätte, machte ich mich direkt auf den Weg zu ihr. Natürlich hat es mich geblitzt und natürlich verpasste ich die Ausfahrt, worauf ich fünfzehn Minuten verlor. Dennoch - ich kam rechtzeitig.
Meine jüngere Schwester wünschte sich für das vierte Kind eine Hausgeburt. Ich durfte die Hausgeburt begleiten und festhalten. Es ist eines der schönsten Erlebnisse in meinem Leben.
Ich litt mit wie ein Mann, fühlte wie eine Frau, konnte mich in das Weh zurückversetzen, als wärs gestern gewesen.
Mirj, du bist ein Wunder und grosses Vorbild wie selbstbestimmt und ruhig du durch diese Geburt gegangen bist. Ich wünschte ich hätte dich von Kind 1 an als meine Doula gehabt.
Ich bin unglaublich stolz und dankbar. Ein gesundes Mädchen kam zur Welt. Ein frischgeborenes Menschlein voller Käseschmiere in den ersten Minuten seines Lebens zu halten ist ein ganz besonderer Moment. Danke.
Und weil ich dies mit mir vereinbarte: nie nie nie zu vergessen wie intensiv und überwältigend die erste Zeit mit einem frischgeborenen Baby ist, wollte ich so gut es ging für meine Schwester und ihre Familie da sein. So hatten wir zeitweise ein paar Menschenskinder mehr ;).
Was ich mitgeben möchte: Wenn ihr Menschen im Wochenbett kennt: kocht, putzt, helft. Seid irgendwie da. Es ist das grösste Geschenk.
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Triggerwarnung - Unfall
Wenn du sensitiv bezüglich Unfällen bist,
dann lies bitte den nachfolgenden Teil nicht.
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Vorgestern. Ein lauter Schrei. Ich arbeitete im Garten und deponierte den Grüncontainer bei der Sammelstelle und war auf dem Rückweg. Sprang los. Ein Junge lag mit dem Fahrrad am Boden. Den Hergang des Unfalles hatte ich nicht gesehen, aber die Reaktionen der Menschen darum. Die Panik. Ein Teil Touristen, die unsere Sprache nicht verstanden. Was ich erst später realisierte.
Das viele Blut – ich wusste ich musste schnell handeln.
Und ich schäme mich dies hier zu schreiben, aber in diesem Moment kam mir die Nummer der Ambulanz nicht in den Sinn. Fand den Zifferblock, wo man die Zahlen im Handy eingibt nicht mehr. Wusste ich musste anrufen, aber gleichzeitig dieses Blut stoppen. Ich rief die 117 an - die Polizei - die mich auf 144 verwies - die Ambulanz.
So viele Fragen und das viele Blut. Ich sagte ich könne nicht mehr weitersprechen ich müsste die Blutung stoppen. Ich schrie um Tücher, zog meine Jacke aus, schrie, dass die Strasse gesichert werden müsste. Da war erst niemand. Ich schrie um Hilfe mir zu helfen den Jugendlichen in eine andere Position zu heben – sein Bein war im Fahrrad eingeklemmt und in dieser Lage würde er kopfsvorab verbluten. Ich schob meine Jacke unter seinen Kopf. Mir wurden Servietten gereicht - ich deckte die Verletzung ab. Ein Teil seines Gesichtes war nicht mehr erkennbar. Noch nie in meinem Leben sah ich eine solche Verletzung.
Meine Hände waren voller Erde – nun vermischte sie sich mit Blut. Ich hielt seinen Kopf, sprach ihm ruhig zu. Er solle atmen. Er sei nicht alleine. Er schaffe das. Und ja, das habe ich gesagt, weil es in diesem Moment alles war was ich tun konnte und das Warten auf die Ambulanz mir unendlich ewig vorkam - ich sagte ihm, dass Gott bei ihm ist. Er sagte er habe Angst und ich fragte ihn, ob ich für ihn beten dürfte. Was ich durfte. Ich telefonierte mit seiner Mama und sie machte sich auf den Weg. Inzwischen traf die Polizei ein. Nachbarn reichten eine Isolierdecke, weil er plötzlich fror. Und ich sprach und sprach - mit ihm. Hielt seinen Kopf. Bangte, dass er nicht das Bewusstsein verlor.
Ich bat eine Nachbarin meine Kinder fernzuhalten, und dass sie nicht zu mir kommen dürften. Gemeinsam warteten wir auf die Ambulanz. Ewig. Seine Mama kam. Ich sagte ihr, dass sie seine Verletzung im Gesicht nicht anschauen solle.
Endlich kam die Ambulanz. Schnell war klar er müsste nach Bern. Eine zweite Ambulanz. Ich half ihn auf die Barre zu heben, gab meine Angaben an. Einer der Polizisten fragte mich, wie es mir ginge und ob ich unter all diesen Umständen nach Hause gehen könne. Was ich bejahte, und dass ich später meine Eltern anrufen würde. Und ging. Ich fröstelte. Ich schwitzte kalten Schweiss. Wusch mir die Hände. Viele Fragen der Menschenskinder. Ausgerechnet an diesem Abend war Mäni an einem Business Essen. Ich stellte den Menschenskindern einen Film ein und rief meine Eltern an. Das tat gut.
Irgendwann kam Mäni nach Hause - zusammen brachten wir die Menschenskinder ins Bett und danach erzählte ich ihm Alles.
Ich konnte in dieser Nacht nicht schlafen und irgendwann schrieb ich der Mama, dass ich an sie denke und ob sie mir wenn es für sie ginge mir kurz Bescheid geben könnte, wie es ihrem Junge ginge.
Er wurde in der Nacht operiert und genäht und es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Aus Rücksicht möchte ich hier all die Verletzungen nicht nennen. Ich bin einfach unendlich dankbar, dass er lebt.
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Mein Anliegen mit diesem Text und weshalb ich das teile... Im Januar hatte ich den Eindruck, dass ich einen Auffrischungskurs für Nothilfe besuchen sollte (vor ein paar Monaten geriet ich ebenfalls an einen gottlob weniger tragischen Fahrradunfall eines Jungen). Das werde ich nun tun.
Besucht einen Nothilfekurs, wenn dieser schon lange zurück liegt (es wird
sogar empfohlen diesen all zwei Jahre zu wiederholen). Mein weiteres Anliegen (und ich kann es noch immer nicht verstehen, ist mir dies passiert und mir ist bewusst das war eine Art Schockreaktion) merkt euch die Nummer 144.
Eines unserer Menschenskinder kam an diesem Abend zu mir in die Küche und überreichte mir eine Broschüre. "Mama für znächscht mau, we du in Not bisch." Auf einer Seite waren alle Fahrzeuge - ein Polizeiauto, ein Feuerwehrauto, die Rega und die Ambulanz abgebildet. Dazu Pfeile welche Nummer zu welchem Fahrzeug gehört. Und ganz unten eine Nummer und da meinte das Menschenskind zu mir: "Lueg Mama, u die Nummere da das isch eifach für Aues." Die Nummer lautet 112. 112.
Ich hätte weinen können.
Und ab sofort trage ich immer einen Fahrradhelm. Das weiss ich nun mit Sicherheit.
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Leben. Neues Leben und Leben, um welches ich bangte. Das war viel. Liebt und haltet eure Liebsten. Es kann sich so schnell ändern.
HAPPY WEEKEND